Waldschule


Aus dem Kölner Stadtanzeiger, 15.10.2013,

Autorin: Nadine Carstens

 

Die Natur, eine unbekannte Welt


Immer mehr Großstadt-Kinder wissen nichts über die Natur, die sie umgibt. Bei einem Rundgang mit der Waldschule durch den Königsforst lernen sie eine ihnen noch unbekannte Welt kennen. So auch die Kindern der Förderschule Zülpicher Straße.

 

„Was ist das für eine grüne Schicht auf den Baumstämmen?“, fragt ein Schüler während eines Rundgangs durch den Königsforst. Er zeigt dabei auf Moos, das er offenbar zum ersten Mal in seinem Leben sieht. Wie viele seiner Klassenkameraden, alles Jungs im Alter von acht bis zehn Jahren, ist er noch nie zuvor in einem Wald gewesen. Sie alle besuchen die „Förderschule Zülpicher Straße für emotionale und soziale Entwicklung“ und kommen unter anderem aus schwierigen familiären Verhältnissen, sind traumatisiert und haben emotionale oder soziale Verhaltensauffälligkeiten. Manche leben zudem getrennt von ihren Eltern in Wohngruppen.

Vier Tage lang führt Frank Küchenhoff, Biologe und Leiter der Waldschule Köln auf Gut Leidenhausen, die Klasse durch den Königsforst und die Wahner Heide und geht mit ihnen auf Entdeckungstour. Anschaulich erklärt er den Kindern dabei die heimische Tier- und Pflanzenwelt, die ihnen bislang fremd war. „Die Schüler kennen kaum die Natur, weil die meisten ihre Freizeit vor dem Computer oder dem Fernseher verbringen“, schildert Klassenlehrerin Theresa Stang.

 

„Manche Eltern können sich auch keine Ausflüge leisten, weil sie bereits das Ticket für die Straßenbahn nicht bezahlen können.“ Nun suchte sie nach einem Weg, die Kinder an die Natur heranzuführen und nahm Kontakt zu Küchenhoff auf. Eine Stiftung, die nicht genannt werden will, spendete zudem 5000 Euro für das Kooperationsprojekt und finanzierte unter anderem die Fahrt und Rucksäcke, die mit Unterrichts- und Forschungsmaterial ausgestattet sind.

 

Auf der Pirsch nach Mistkäfern und Asseln

Interessiert und staunend wandern sie mit Küchenhoff durch den Königsforst, fangen Insekten wie etwa Mistkäfer und Kellerasseln ein, die sie anschließend mit einer Lupe inspizieren, und erforschen die Haftwurzeln von Efeu. „Kinder, die zuvor Marienkäfer mit zwei Fingern zerquetscht haben, zeigen sich hier durch die Ruhe der Natur viel ausgeglichener“, stellt Küchenhoff fest. Stang und Schulleiterin Judith Schmischke stimmen ihm zu. „Eigentlich müssten wir alle zwei Wochen solche Ausflüge anbieten, weil die Kinder sonst nicht rauskommen und weil sie hier deutlich ruhiger sind“, sagt Stang überzeugt.

„Ich glaube, in ihrer Persönlichkeitsentwicklung lernen die Kinder in der einen Woche im Wald viel mehr als in mehreren Monaten in der Schule“, bestätigt auch Schmischke. Normalerweise seien sie und die Lehrer es nicht gewohnt, dass sich die Schüler, die aus Stadtteilen wie etwa Lindenthal, Meschenich und Sürth kommen, so ruhig verhalten. „In der Schule kommt es oft zu heftigen Auseinandersetzungen, da wir auch Schüler mit sehr hohem Aggressionspotenzial haben, die zum Teil bereits als »nicht therapierbar« gelten.“
In der Schule werden Streitereien gemeinsam aufgearbeitet, damit die Kinder lernen, solche Situationen zu vermeiden und sich nicht provozieren zu lassen. Depressive Tendenzen, ADHS, Autismus sind ein paar der Verhaltensauffälligkeiten, die die Kinder zur Förderschule geführt haben. „Manche Kinder liegen auch in ihrem emotionalen Entwicklungsstand mehrere Jahre zurück“, so die Schulleiterin. Deutlich wird das in der Frühstückspause: An einem Rastplatz verteilt Stang Taschenmesser, mit denen die Schüler ihre Brötchen aufschneiden. „Dass wir ihnen die Taschenmesser leihen, ist bereits ein großer Vertrauensbeweis“, sagt Schmischke.

 

Tipi zwischen Fichten

Doch dann passiert ein Missgeschick: Ein Junge rutscht ab und schneidet sich in den Finger. Obwohl es nur eine kleine Wunde ist, reagiert der Schüler hysterisch – er schreit und weint, bis Stang ihn während des Verarztens wieder beruhigen kann. Die Lehrer sind routiniert und wissen gut mit solchen Situationen umzugehen.

„Wir haben kleinere Fördergruppen mit höchstens 13 Kindern, können uns also intensiver mit den Schülern beschäftigen und merken früh, wenn es zu Konflikten kommen könnte“, erläutert Schmischke. „Der Unterrichtsstoff entspricht den Richtlinien einer Regelschule, jedoch erhält jeder Schüler einen individuellen Förderplan.“

Die Wanderung dauert mehrere Stunden, doch langweilig oder zu anstrengend wird es den Jungs nicht. Begeistert packen sie mit an, als Küchenhoff sie beispielsweise dazu auffordert, inmitten von Fichten ein Tipi zu bauen. „Es gibt kaum eine bessere Methode, um das Sozialverhalten zu fördern“, bemerkt Lehrerin Stang, während sie die Jungs beobachtet, die einen Ast nach dem anderen an einem umgekippten Baum aufstellen. „Alleine können die Schüler die Äste nicht tragen, also müssen sie sich mit den anderen zusammentun.“ Sie hofft, dass solche Ausflüge nun regelmäßig stattfinden können. „Das Geld der Stiftung reicht für eine weitere Projektwoche im nächsten Jahr.“

 

 

Foto: Nadine Carstens, Ksta Porz
Foto: Nadine Carstens, Ksta Porz
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